Wahlen 2006 - Part 2

posted by Bela on 2006/03/07 16:03

[ Wahlen 2006 ]

Wieder einmal Grundsätzliches zum Wahlkampf aus Ungarn: Es gibt in etwa vier Parteien, die überhaupt erwähnenswert erscheinen, weil sie Chancen haben die Fünfprozenthürde zu überschreiten (und die anderen Gruppierung seien einmal unter "faschistisches Kabarett" subsummiert – vielleicht dazu ein anderes Mal): Eine nennt sich sozialistisch (MSZP), hat den Nimbus der KP-Nachfolgepartei trotz aller Bemühungen noch immer nicht abgelegt, und ist im wesentlichen eine neoliberale Partei, die vor lauter Langeweile schon selbst einschläft. Eine weitere nennt sich konservativ (FIDESZ), geriert sich aber als KP-Nachfolgepartei und appelliert an die alten staatlichen Versorgungsinstinkte des kleinen Mannes ("böse Ausländer", "böser Manchester-Kapitalismus", "Papa Staat reguliert die Preise") und spielt mit Vorliebe die nationalistische Karte aus ("Ungarische Solidarität" heißt das jetzt). Das sind die Großparteien, und es besteht Gefahr, dass nur die beiden ins Parlament kommen.

Weitere Spieler sind eine tatsächlich liberale Partei (SZDSZ) , die aber außer Privatisierungsgeblöke (das sind die Wirtschaftsliberalen) keine anderen wirklich durchschlagende Ideen hat und zudem ihre liberalen Ideen (das sind die gesellschaftspolitisch Liberalen) gerne versteckt (ist doch die dumme ungarische Gesellschaft angeblich doch noch nicht reif zu so was). Zuletzt gibt es noch eine konservative Partei (MDF), deren Chefin aber meint vom Fußball nichts zu verstehen, wenn es tatsächlich darum geht den antisemitischen Mob auf den ungarischen Fußballplätzen ein klares "Halt" zu sagen.

Ideen über das "wie weiter" haben sie alle nicht – vor allem nicht die beiden Großparteien. Und so inszenieren sie den großen Streit, der angeblich jede Ecke der ungarischen Gesellschaft durchdringt. Allein in den Grundfragen sind sich aber letztlich einig (Nepotismus, Macht, Geld) und lösen das Ganze in einem inszenierten Feindschaft einerseits und in der schleichenden Versäulung des Landes andererseits auf: Jede gesellschaftliche Einrichtung hat langsam so ein "linkes" und ein "rechtes" Pendant, wo man seine Schäfchen unterbringen kann, Fachverständnis ist dabei nicht gefragt. Die klugen Wissenschafter und gerissenen Medienleute sind hier natürlich Vorreiter gewesen: Das "Haus des Terrors" (FIDESZ) kriegt so seine Staatsgelder genauso wie das 56-er Institut" (MSZP) oder das Habsburg-Institut (SZDSZ), und "Hír-TV" bringt Nachrichten nach dem Geschmack der FIDESZ, "Magyar ATV" nach jenem der linken Reichshälfte, digital empfangbar – so modern ist man nicht - sind sie beide nicht (Dabei wäre das auch so schön lösbar: Vier Multiplexe, fifty:fifty).

Den Ereignissen vorauseilend hat man immer wieder prognostiziert, dass der Wahlkampf schmutzig sein wird. Stimmt aber nicht, ja, ja, noch ist nicht aller Tage Abend, aber bis jetzt, am Beginn der "heißen Phase", herrscht vorerst Langeweile: OK, die FIDESZ hat sich die Wahlkampfunterlagen der MSZP von deren Server runtergesaugt (Password: "Rote Nelke", wie kreativ!) und hat damit – gemeinsam mit den Lesern der "konservativen" (haha!) "Magyar Nemzet" den unheimlichen Vorteil, die in Bälde von den Sozialisten und den beiden Sozialistinnen verteilten Feuerzeuge schon gesehen zu haben, MSZP-Gyurcsány hat die noch unentschiedenen Wähler als "streunende Hunde" bezeichnet (da waren 6000 so böse, dass sie sich im Schneetreiben ganz spontan protestierend vor das MSZP-Haus gestellt haben), die man einsammeln müsse, ein FIDESZ-Mann hat einen MDFler samt Familie bedroht, falls er nicht zu seinem Gunsten zurücktrete, aber das ist auch alles – bis jetzt wie gesagt.

Die Plakate sind fad, die FIDESZ verbreitet üble Laune ("Uns geht's schlechter als vor vier Jahren", sagen einem traurige Gesichter auf den Strassen, man wird richtig missmutig, wenn man das sieht), die von der MSZP sind so, dass ich sie gar nicht memorieren kann (Der Slogan "Ein Land, ein Programm, ein Mann" ist natürlich super, weil einem tatsächlich sofort "Ein Volk, ein Reich, ein Führer" einfällt, aber stimmt natürlich: Das "Familie, Heimat, weiß nicht was" der FIDESZ erinnert auch an des Pétainsche "Famille, patrie, je ne sais pas quoi"), ach ja es gibt ein Tanzvideo (oder auch:
Hier
) von Gyurcsány. Die MDF propagiert ein "Normales Ungarn" vergisst aber dabei, was sie für verrückte Dinge schon gedreht hat, und wofür alles ihr Mentor, der inzwischen verstorbene József Antall, erster demokratischer Ministerpräsident des Landes nach 1990, alles verantwortlich zeichnet (ich sage nur Spitzelgesetze), ja und die SZDSZ wirbt mit einem herzigen Buben (siehe unten), der wenigstens was über die Zukunft sagt, und der wirklich witzig ist.... muss ich zugeben, wobei ich natürlich auch nicht verleugne, dass die Liberalen (auch wenn ich bei ihrem Privatisierungsgeblöke das Kotzen kriege) mir noch immer an nächsten stehen.

Alles in allem: Die ungarische politische Klasse ist einfach ausgebrannt, hat die Wende irgendwie über die Runden gebracht, hat die Landesfähre artig, wie es die Geschichte von ihr erwartet hat, am westlichen Ufer verankert – und jetzt versteht diese Klasse die Welt nicht mehr: Das Wort gilt, alles muss nun seinen europäischen Gang gehen, keine Flunkereien mehr, was liegt, das pickt? Visionen, Inhalte, Ideen, Umgestaltung der Systeme, soziale Absicherungen, Rechte, jetzt, wo endlich alles (für sie) zu stimmen scheint.... Was sollen diese Leute sonst machen als Politik? Gnade der Wirtschaft und der Wissenschaft.

Aber auch der Souverän scheint die neue Welt nicht zu kapieren: Es lässt sich ja nicht leugnen, dass es – sicherlich nicht allen, ich weiß – sicherlich besser geht. Vorerst ist man aber nur frustriert, seiert und meckert, leidet und ist verzweifelt: Aber all das tut man gerne hier, denn es gehört dazu in Ungarn frustriert zu sein: Könnte man nicht frustriert sein, wäre man nur noch trauriger. Natürlich ist der Souverän auch verwirrt (und zu Recht auch böse), denn seit dreißig Jahren (damit haben ja schon die Stalinisten begonnen) erwartet die politische Klasse immer ein Opfer, erzählt von Reformen, Neubeginn, alles wird gut, dann bringt der Souverän dieses Opfer artig dar (muckt natürlich ein bisschen, aber nicht wirklich), aber kaum ist es gebracht, wird es verprasst, und das Ganze geht von vorne los.

Aber der Souverän schickt auch niemanden in die Wüste: bzw. nur kurzfristig und so wechseln sich die beiden Lager seit 1990 immer nur ab, einmal hopp, dann tropp (OK, bei den Konservativen wird es immer ein bisschen hysterischer, da kommen die Siebenbürger Ungarn, man verteilt Fahnen, siedelt die Krone um, alles wird Geschichte, und man darf Großes träumen - erinnert sich eigentlich noch jemand dran, dass die alte FIDESZ-Regierung sich für die Olympia 2012 bewerben wollte? Das waren noch Träume!). Die WählerInnen mögen den Versprechungen der beiden Großparteien zwar nicht mehr Glauben schenken, bittere Wahrheiten oder konstruktiven Ideen hören sie aber auch nicht gerne, denn sonst würden die Meinungsumfragen nicht die Spaltung des Landes in im wesentlichen zwei gleichgroße Lager signalisieren – und dass sich diese Lager in der Essenz kaum unterscheiden ist eben die Meinung des bloggers.

Ja, und die Medien, die dies alles irgendwie vermitteln (sollen)? Hysteriker, Frustrierte, Korrumpierte, Alt-Stalinisten und ja, ja, vereinzelt wirklich kluge Menschen, integer, klar, gescheit – wie man es sich auch für Österreich wünschen würde, aber die versinken im Meer der anderen.

Die größte Gefahr für Ungarn ist im Moment nur, dass es am Ende ein Zweiparteiensystem gibt, besser wäre es, wenn die oben genannten vier Parteien vertreten waren: Der Rest ist im Kern – natürlich wäre es besser, wenn..... – egal, denn, was in Ungarn nach dem Juni passieren muss, ist eh vorgegeben: Kürzung des Haushaltsdefizits um jeden Preis. Reform der Reform der Reform. Egal wie man zu dieser Doktrin steht, sie ist nun mal vom internationalen Kapital vorgegeben, und wenn es nicht passiert, dann wahrscheinlich umso schlimmer, oder wenn man es nicht macht, dann muss man schon das ganze System stürzen.

Aber das ist ja wohl nicht aktuell.

http://kakanienneu.univie.ac.at/static/files/27293/logo.jpg


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Budapest

A picture from the heydays of liberal Budapest - when a whole (though short) underground line could be built within two years. And M1, the famous "Földalatti", Budapest's yellow line, still works. I have never seen this image of the construction on Andrássy before, so be full of admiration - and I am not telling your where it is from...

The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)

Budapest has – together with St. Petersburg and Vienna – one of the largest tramway networks of the world. The tramway type "UV" – standing for "Új villamos - New tramway" and pictured above – was designed in the early forties and is still a symbol for Hungary's once high-tech railway-carriage industry. With the arrival of the new low-floor-trams in spring 2006 – built by Siemens in Vienna and not too beautiful – this landmark of Budapest will vanish from the cityscape.
György Petri: Imre Nagy

Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts

vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung des Stricks, von der letzten Schmach.

Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,

wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,

als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.

Übersetzt von Hans-Henning Paetzke

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